Wir erinnern uns

Ein Schloss an einer Wagontür. Jemand hat eine rote Rose darauf gelegt. Detail an einem Eisenbahnwaggon in der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau. Foto: © Hans-Georg Vorndran / fundus-medien.de

Der Tag der Befreiung von Auschwitz, der 27. Januar, ist ein Gedenktag. Er wird an vielen Orten begangen. Superintendentin Claudia Müller-Bück sprach zwei Tage später auf der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem jüdischen Friedhof in Swisttal-Heimerzheim. Sie sagt: „Es hat nie aufgehört.“ Hier der Text im Wortlaut: Grußwort zur Gedenkfeier für die […]

Der Tag der Befreiung von Auschwitz, der 27. Januar, ist ein Gedenktag. Er wird an vielen Orten begangen. Superintendentin Claudia Müller-Bück sprach zwei Tage später auf der Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem jüdischen Friedhof in Swisttal-Heimerzheim. Sie sagt: „Es hat nie aufgehört.“

Hier der Text im Wortlaut:

Grußwort zur Gedenkfeier für die Opfer des Nationalsozialismus auf dem jüdischen Friedhof in Heimerzheim am 29. Januar 2024 

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin Kalkbrenner, sehr geehrte Mitglieder des Synagogengemeinde Bonn, sehr geehrte Damen und Herren, 

Ehrlich gesagt: als ich die Inschrift auf dem Gedenkstein aus dem Jahr 1981 hier am jüdischen Friedhof zum ersten Mal las, da war ich schockiert: 

“Sie sagten, kommt lasst uns sie ausmerzen und der Name Israel soll nie wieder erwähnt werden.”  Psalm 83 Vers 5.  Hart, in Stein gemeißelt, in deutscher und hebräischer Sprache. 

Ich dachte, das Gedenken ist wichtig, nie wieder dürfen Jüdinnen und Juden in Swisttal, in Deutschland – auf der ganzen Welt in ihrer Existenz bedroht sein, aber wir haben hier doch viel erreicht.   Vielleicht hätte man es etwas “versöhnlicher” machen können. Nicht nur mir ging es so. Im Mai 2019 wurde eine Erläuterungstafel hinzugefügt, mit Hinweis auf das Grundgesetz und die Menschenrechte. 

Seit dem brutalen Überfall der terroristischen Hamas auf Jüdinnen und Juden in Israel am 7. Oktober 2023 lese und verstehe ich die Worte auf der Tafel anders. Sie schockieren – immer noch, weil sie eine Realität abbilden, die viele verdrängt hatten: 

Jüdinnen und Juden sind bedroht, im Staat Israel, auf der ganzen Welt, in Deutschland, mitten unter uns. 

Es hat nie aufgehört.  

Gott, sei nicht ruhig, schweige nicht, und sei nicht still, Gott! 
Denn schau’, Deine Feinde toben, und Deine Hasser heben ihr Haupt. 
Gegen Dein Volk verschwören sie sich verräterisch, und beraten sich gegen Deine Schützlinge. 
Sie sagten: „Kommt, tilgen wir sie aus den Völkern, und niemand wird noch an den Namen Israel denken.“ 
Psalm 83, 2-5 (Übersetzung Miriam Magall) 

Das ist die Wirklichkeit. Und wir alle tragen Verantwortung. Der Staat, die Politik, Bürgerinnen und Bürger, Vereine, Schulen, die Kirchen und muslimischen Gemeinden. 

Bei all dem, was uns im Blick auf die Menschen in Israel und Gaza erschüttert: Jerusalem, und der Staat Israel war für Jüdinnen und Juden auf der ganzen Welt ein Sehnsuchtsort – ein sicherer Ort vor Verfolgung, diese Sicherheit ist auf schlimmste Weise genommen worden. Menschen wurden getötet, Frauen systematisch vergewaltigt und gefoltert – weil sie Jüdinnen sind. 

Und in Deutschland, gab es Menschen, die das bejubelt haben. 

Antisemitische Narrative hatten schon während der Coronazeit Hochkonjunktur und sind weiter gesellschaftsfähig geworden. Durch alle gesellschaftlichen Gruppen hindurch.  

Jüdische Eltern fürchten sich, ihre Kinder zur Schule gehen zu lassen, der Polizeischutz an Synagogen musste verstärkt werden. 

Eine Gedenkveranstaltung zur Reichspogromnacht am 9. November 1938 konnte aus Sicherheitsgründen nicht draußen stattfinden, unter hohem Polizeischutz waren wir dann im Foyer der Bonner Oper.  

Schon vor Jahren hat eine jüdische Schülerin sich ein Herz gefasst und ihren Mitschüler:innen gesagt, warum sie sie sich nicht mehr traut, die Kette mit ihrem Davidstern offen zu tragen. Zu viele Beleidigungen und Drohungen. Und in der gleichen Schule tragen andere Schüler gefährliche Klischees über Juden weiter.  

Es hat nie aufgehört. 

Das ist unerträglich. Und wir dürfen nicht schweigen. Niemals. Auch, wenn es uns schwerfällt, wenn wir uns gegen den Wind stellen müssen.  

Der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus anlässlich der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz gilt auch anderen Personengruppen, die in KZs deportiert und ermordet wurden:  Menschen mit Behinderung, Sinti und Roma, gleichgeschlechtlich Liebende, politisch Andersdenkende… 

Das gilt es wahrzunehmen und sich in diesen Tagen für die Rechte aller Menschen einzusetzen. Die Würde des Menschen ist unantastbar. 

Hier an diesem Ort, dem jüdischen Friedhof in Heimerzheim trauere ich jetzt um die Menschen, die in Heimerzheim gelebt haben, aber deren Gräber nicht hier sind, die weit von hier entfernt verschleppt und ermordet wurden. 

2015 haben wir für sie Stolpersteine im Dorf verlegt. In der App des Westdeutschen Rundfunks Stolpersteine NRW sind die Geschichten Menschen nachzulesen und z.T. auch Fotos zu sehen. Die Texte für die ehemaligen Heimerzheimer Bürger:innen hat Tverfasst. 

Auch über die Familie Steinhard aus der Kirchstraße mit ihrer Tochter Irene.  Alle wurden 1942 deportiert und ermordet.  

Sie hatten ein Textilwarengeschäft betrieben. Ein Satz aus dem Text von Frau Kunz hat mich gestern besonders berührt:  “Mit einem BMW Dixi liefert der Kaufmann Textilwaren an die Kundinnen und Kunden. Seine Frau Paula ist im Laden des Geschäfts tätig. Bei den Kindern im Ort sind besonders die Karnevalsartikel zum Jahresanfang beliebt.” 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. 

Superintendentin Claudia Müller-Bück