Digitale Achsenzeit

Nicht mehr wegzudenken: Digitalisierung erfasst alle Lebensbereiche, auch die Arbeit evangelischer Lehrkräfte. Hier bei der Gruppenarbeit. Foto: Uta Garbisch

Mit jeder neuen App fragt sich der Nutzer, wie das geht. Aber viel wichtiger ist die Frage, was macht sie mit uns? Johanna Haberer und Andreas Ziemer beim Tag des Religionsunterrichts: In ihrem Streifzug „Ich tue es, weil ich es kann … – Macht und Ohnmacht in der vernetzten Welt“ vermittelte Johanna Haberer beim diesjährigen Tag […]

Mit jeder neuen App fragt sich der Nutzer, wie das geht. Aber viel wichtiger ist die Frage, was macht sie mit uns? Johanna Haberer und Andreas Ziemer beim Tag des Religionsunterrichts: In ihrem Streifzug „Ich tue es, weil ich es kann … – Macht und Ohnmacht in der vernetzten Welt“ vermittelte Johanna Haberer beim diesjährigen Tag des Religionsunterrichts in Bonn einen umfassenden und kritischen Blick in die digitalisierte Welt.

Kritischer Blick auf Digitalisierung: Johanna Haberer. Foto: Uta Garbisch

Gerade auch für Jugendliche: Selfies verstärken den Zwang, sich zu inszenieren, jedes „Gefällt mir“ erzeugt einen abhängig machenden Dopaminschub. Die beschleunigte Kommunikation stelle einen Kulturwandel von der Reflexion zum Reflex dar. Es gibt keine undokumentierten Lebensphasen mehr, Alexa kann an der Stimme erkennen, ob jemand depressiv werden könnte. „Was bedeutet das für Seele und Identität?“, sei die entscheidende Frage, so die Professorin für christliche Publizistik an der Universität Erlangen-Nürnberg. Es entstünden neue Machtzentren, Firmen, die sich selbst als Staaten verstehen und sich um nationale Gesetze nicht kümmerten. Gleichzeitig ist jeder einzelne potentiell erreichbar, aktuell zwei Drittel der Menschheit. Dies sei eine Achsenzeit, die die gesamte Welt verändere.

Über all das sei mit Jugendlichen zu reden: Was bedeutet dieser Wandel für Schülerinnen und Schüler und deren Lebenswelt? Auch im Religionsunterreicht sei zu fragen: Wo und wie informierst Du Dich? Im Kern ginge es um einen aufgeklärten Umgang, um Glaubwürdigkeit statt Desinformation, so Haberer, die auch der Datenethikkommission der Bundesregierung angehört. Schließlich sei es ein existentielles Problem, „wenn ich nicht mehr weiß, worauf ich mich verlassen kann“.

Didaktik vor Technik

Digitale Persepektiven für den Reli-Unterricht: Andreas Ziemer. Foto: Uta Garbisch

Ganz praktisch informierte Andreas Ziemer in seinem Vortrag „Mehr als nur Tools – Digitale Perspektiven für den Religionsunterricht“ über digitale Möglichkeiten. Da konnten die Lehrerinnen und Lehrer zunächst über Chancen und Herausforderungen in Kleingruppen nachdenken. Die Ergebnisse erschienen per Etherpad direkt auf der Leinwand. Diese Technik ist ein webbasierter Texteditor, mit dem mehrere Personen gleichzeitig ein Textdokument bearbeiten können. Durchaus auch im Religionsunterricht nutzbar. Denn bei der Strategie der Kulturministerkonferenz „Bildung in der digitalen Welt“ gehe es nicht darum ein neues Fach zu etablieren, sondern das Thema in allen Schulfächern zu integrieren, so der Dozent für Religionspädagogik an weiterführenden Schulen am Pädagogisch-Theologischen Institut der Evangelischen Kirche Mitteldeutschlands und der Evangelischen Landeskirche Anhalts.

Ein Beitrag des Religionsunterrichts sei die Frage, wie Digitalisierung das Leben verändert. Konkret könne auch die Arbeit christlicher Influencer geprüft werden. Gefolgt von einem Gespräch, was Kirche attraktiver machen könne. Letztlich plädierte Ziemer aber für den Primat der Didaktik vor der Technik. Kritische Reflexion und Kreativität müssten im Vordergrund stehen.

Digitale Schnitzeljagd

Am Nachmittag ging es für die gut 100 Lehrerinnen und Lehrer in vier Workshops weiter. Wie drehe ich einen Stop Motion Film, erläuterte Johannes Künzel. Dabei konnte jeder selbst eine Sequenz drehen. Anhand von Learningapps erklärte Julia Prinz, wie man diese mit eigenen Unterrichtsinhalten füllt. Wie religiöse Spuren im Alltag entdeckt werden können, zeigte Andreas Ziemer. Hier ging es um religiöse Lernorte wie Kirchen, Moscheen oder Friedhöfe sowie religiös aufgeladene Orte des Alltags (Parks, Bahnhöfe, Kaufhäuser), die man mit einer „digitalen Schnitzeljagd“ (Biparcour) erkunden kann.

Hatten offensichtlich Freude am Thema: Pfarrer Carsten Schleef, Rektor Lutz Killmann und Schulleiterin Lucy Mindner. Foto: Uta Garbisch

Über „Sterben 2.0 –   Sterbekultur in der digitalen Welt“ informierten Almuth Peren-Eckert und Dr. Rainer Goltz. Ein Wandel des Verständnisses von Sterben, Tod und Trauer zeigt sich in Form von virtuellen Friedhöfen, Grabsteine werden mit QR-Codes versehen und veränderte Formen des Versuchs, Trauer zu bewältigen, sind zu beobachten.

Der Tag des Religionsunterrichts findet alljährlich am Buß- und Bettag unter der Regie der Schulreferentinnen Beate Sträter und Hiltrud Stärk-Lemaire zu einem Schwerpunktthema im Haus der Evangelischen Kirche Bonn statt. Der Termin ist Treffpunkt der evangelischen Religionslehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen in den Kirchenkreisen An Sieg und Rhein, Bad Godesberg-Voreifel und Bonn.

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