Rheinische Kirche sucht Betroffene und Zeitzeug*innen für Internatsstudie

Betroffene und Zeitzeug*innen gesucht
Unabhängige wissenschaftliche Untersuchung von Fällen sexualisierter Gewalt an Internaten auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland beginnt Anfang 2026
Ende März 2023 haben die Evangelische Kirche im Rheinland, die Bergische Universität Wuppertal und die Fachhochschule Potsdam die Ergebnisse der Studie „Aufarbeitung der gewaltförmigen Konstellation der 1950er Jahre im evangelischen Schülerheim Martinstift im Moers“ vorgestellt. Als eine Konsequenz daraus hat die Kirchenleitung eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung zum Thema „Sexualisierte Gewalt in den evangelischen Internaten im Bereich der Evangelischen Kirche im Rheinland“ beschlossen. Dafür bitten die beauftragten Wissenschaftler und die rheinische Kirche jetzt um Unterstützung durch Betroffene und Zeitzeug*innen.
Elf Internate werden untersucht
Die wissenschaftliche Aufarbeitung wird von PD Dr. Daniel Gerster übernommen und von Prof. Dr. Klaus Große Kracht von der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg begleitet. Die Studie startet im Januar 2026 und soll nach einem Jahr abgeschlossen sein. Sie bezieht sich auf die evangelischen Internate, Alumnate und Schülerheime in:
Bad Godesberg, Burscheid, Dierdorf, Herchen, Hilden, Kaiserswerth, Meisenheim, Neukirchen-Vluyn, Neuss und Traben-Trarbach. Außerdem war die Evangelische Kirche im Rheinland zusammen mit der Evangelischen Kirche von Westfalen auch Trägerin des Wohnheims des Jung-Stilling-Instituts im westfälischen Espelkamp-Mittwald.
Vorfälle an drei Einrichtungen bekannt
Die Einrichtungen wurden zumeist in den 1950er Jahren eröffnet, haben zum Teil in den Folgejahren Trägerwechsel erlebt und sind inzwischen überwiegend wieder geschlossen. Die Evangelische Kirche im Rheinland betreibt keine Internate mehr. Bei drei ehemaligen Internaten sind Verdachts- bzw. dokumentierte Fälle sexualisierter Gewalt gegen ehemalige Bewohner*innen bekannt: Neben dem bereits untersuchten Alumnat Martinstift in Moers handelt es sich dabei um das Alumnat Lutherhaus in Traben-Trarbach und das ehemalige Internat in Hilden.
Interesse an Erfahrungen und Erinnerungen
Wir suchen weitere Menschen, die im Zusammenhang mit den genannten evangelischen Internaten von sexualisierter Gewalt betroffen waren und zu einem Interview bereit sind. Darüber hinaus besteht auch Interesse an Erfahrungen von Menschen, die indirekt betroffen waren oder etwas vom Gewaltgeschehen mitbekommen haben, sowie an den Erinnerungen weiterer Zeitzeug*innen. Außerdem möchten wir Betroffenen Hilfe und Unterstützung anbieten.
Vertraulichkeit sichergestellt
Die Durchführung der Studie erfolgt unabhängig von der Evangelischen Kirche im Rheinland. Die Forscher sind mit sexualisierter Gewalt als Forschungsthema vertraut und sichern eine verantwortungsvolle Gesprächsatmosphäre zu. Inhalte der Interviews als einem wichtigen Bestandteil der breiten Quellenbasis der Studie werden vertraulich behandelt, die Bearbeitung erfolgt in anonymisierter Form. Die Interviews können in Präsenz, per Telefon oder Videogespräch geführt werden. Alternativ sind auch schriftliche Äußerungen (Brief, Mail) willkommen. Die Ergebnisse der Studie werden der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt und dienen damit der Sichtbarmachung des erlebten Leids der Betroffenen.
Kritische Machtstrukturen im Fokus
Oft liegen dem Vertrauensmissbrauch und dem Überschreiten körperlicher oder seelischer Grenzen kritische Machtstrukturen zugrunde. Sie zu erkennen, ist ein weiteres Anliegen der Studie – auch, um der Anbahnung sexualisierter Gewalt in Zukunft rechtzeitig begegnen zu können. Im Zuge der Aufarbeitung, die unter Einbindung Betroffener durchgeführt wird, sollen Erkenntnisse über Gewaltkonstellationen und Machtstrukturen gewonnen sowie Ursachen und Versäumnisse ermittelt werden.
Mögliche Ansprechpersonen
Menschen, die selbst sexualisierte Gewalt in Internaten auf dem Gebiet der Evangelischen Kirche im Rheinland erfahren haben oder Angaben als Zeug*innen machen möchten, werden gebeten, sich zu melden. Dazu stehen folgende Kontaktstellen und Personen bereit:
Ansprechstelle für den Umgang mit Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung
der Evangelischen Kirche im Rheinland
Claudia Paul
Telefon 0211 4562-391
E-Mail claudia.paul@ekir.de
Vertrauenspersonen im Kirchenkreis Bad Godesberg-Voreifel
Sabine Cornelissen
Telefon 0157 54759471
E-Mail: vertrauensperson.ekbgv@ekir.de
Janine Fries
Telefon 0157 82962342
E-Mail: vertrauensperson.ekbgv@ekir.de
Externe Beratungsstelle:
Weißer Ring
Telefon 116 006
www.weisser-ring.de
Alle Gespräche erfolgen vertraulich und bieten bei Bedarf auch Informationen zu Hilfsangeboten.
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Für eine „wissenschaftliche Untersuchung von Fällen sexualisierter Gewalt an Internaten“ bittet die EKiR auch in Bonn-Bad Godesberg um Mithilfe.
Da es kaum mehr bekannt ist, dass die Landeskirche in Bad Godesberg in den 50er Jahren ein Internat führte, ein paar Informationen zur geschichtlichen Einordnung:
In Bad Godesberg wurde 1955 im Zusammenhang mit dem provisorischen Regierungssitz der neuen Bundesrepublik Deutschland von der Landeskirche ein Haus „Im Büchel“ am Rhein gekauft und als Internat für 26 Schülerinnen eingerichtet. Das Internat wurde 1963 geschlossen, das Gebäude existiert nicht mehr. Die Mädchen gingen auf verschiedene Schulen in Bad Godesberg, u.a. in das 1955 von der Evangelischen Landeskirche neugegründete Neusprachliche Mädchengymnasium, das im Gebäude der evangelischen Volksschule an der Rheinallee untergebracht war. Ostern 1958 zog das Gymnasium in den Neubau in die Behringstraße um, 1961 erhielt es den Namen Amos-Comenius-Gymnasium.
„Das Lehrerkollegium bemüht sich um eine möglichst enge Zusammenarbeit mit dem Internat“, heißt es in der Festschrift des ACG 1955-1980. Für das Schuljahr 1958/59 ist dort vermerkt: „Einige Vertrauenslehrer und der Direktor treffen sich (…) mit der Internatsleiterin zu regelmäßigen Besprechungen, und auch die Zusammenarbeit zwischen Lehrern und Eltern wird immer enger.“
Im Rahmen der von der EKiR beauftragten Studie – siehe den folgenden Aufruf – werden Betroffene und Zeitzeugen/Zeitzeuginnen an den verschiedenen Internatsstandorten der Landeskirche gesucht.