Keiner glaubt so richtig an den Ernstfall

Die aktuelle Schiffskatastrophe vor Italiens Westküste hat Oliver Ploch geschockt. Der Bonner Pfarrer fährt jedes Jahr selbst drei Wochen auf einem Kreuzfahrtschiff um die Welt – und zwar beruflich. Der 43-Jährige ist einer von rund 100 Bordgeistlichen, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf hohe See mitgeschickt werden. Unter den von der „Costa […]

Die aktuelle Schiffskatastrophe vor Italiens Westküste hat Oliver Ploch geschockt. Der Bonner Pfarrer fährt jedes Jahr selbst drei Wochen auf einem Kreuzfahrtschiff um die Welt – und zwar beruflich.

Der 43-Jährige ist einer von rund 100 Bordgeistlichen, die von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) auf hohe See mitgeschickt werden.

Unter den von der „Costa Concordia“ noch vermissten Passagieren sollen auch mindestens elf Deutsche sein, weiß Ploch. „Sehr berührt hat mich, dass bei einem Paar aus Bad Honnef die Reise ausgerechnet ein Geschenk der Kirchengemeinde war und jetzt alle heilfroh sind, dass die Leute gerettet wurden“, sagt der Pfarrer nachdenklich. Die Frau war gleich am Morgen nach der Rückkehr in den Gottesdienst geeilt. Sie habe an Land von einem Italiener spontan Schuhe an die nackten Füße geschenkt bekommen, erzählt Ploch. „Das ist ein Licht in all dem Leid, ein Fingerzeig dafür, dass Gott uns nie verlässt, nicht im Leben und nicht im Sterben.“

Und dann will er von der wichtigen Rolle von Notfallseelsorgern in Unglücksfällen wie diesem reden. „Diese Seelsorger sind zunächst einfach nur da. Sie zwingen zu nichts. An ihnen kann man sich festhalten, sie anschreien, weinen.“ Notfallseelsorger kümmerten sich um frische Kleidung, schirmten Schaulustige ab, schafften Ruhe. „Diese Geistlichen hören zu, halten aus, fragen behutsam, was jetzt gut tun könnte: ein Kaffee, eine Umarmung oder einfach nur Schweigen. Wenn es gut tut, wird natürlich auch gebetet, Schuld besprochen oder eine Aussegnung vorgenommen.“ Oft hätten gerade Seelsorger länger Zeit zu bleiben als Polizei, Feuerwehr oder Rettungsdienst, manchmal viele Stunden, bis weitere Angehörige eingetroffen seien.

Verdrängung kann entscheidende Minuten kosten

Als Bordpfarrer werde man eigentlich gar nicht auf ein Schiffsunglück oder gar einen Untergang speziell vorbereitet, kann es der evangelische Pfarrer dann selbst nicht fassen. „Wenn die Katastrophe genügend Zeit lässt, wird man von der Crew stärker in die Informationen und die Abläufe eingebunden und kann durch Gespräche und Durchsagen helfen.“ Aber in einem dramatischen Fall müsse zunächst einfach zügig und professionell gehandelt werden. „Das fällt dann manchmal auch der Mannschaft schwer, weil trotz des häufigen Drills keiner so richtig an den Ernstfall glaubt“, so Ploch.

Er habe in seinen Einsätzen über mehrere Jahre einmal einen Alarm mitten in der Nacht erlebt, der sich „gefühlt“ erst eine Stunde später als Fehlalarm herausgestellt habe. „Nur wenige Passagiere gingen zu den Musterstationen, weil alle auf einen Fehlalarm und weitere Durchsagen warteten.“ Diese Verdrängung könne im Ernstfall entscheidende Minuten kosten. Viele Passagiere hätten aber später mit ihm, dem Pfarrer, über ihre Ängste sprechen wollen. „Vor allem ältere und behinderte oder allein reisende Gäste leiden in solchen Momenten sehr, weil sie in einem Notfall niemanden haben, der persönlichen Beistand leistet oder unmittelbar hilft.“ Gott sei Dank seien solche Unglücke höchst selten und die Sicherheitsbestimmungen hoch.

Verletzungen der Seele bei geretteten Touristen

„Normale“ Krisen gebe es auf hoher See natürlich öfter. Menschen würden krank. Einsamkeit oder Konflikte holten die Gäste ein, auch Heimweh sei ein Thema. Es gebe wegen des hohen Altersdurchschnitts auch Todesfälle. „Vielen tut es gut, zu wissen, dass ein Pfarrer da ist, auch wenn sie ihn nicht in Anspruch nehmen. Im Bordgottesdienst wird für alle gebetet, auch für die Mannschaft und die Menschen zu Hause.“

In der weiteren Betreuung geretteter Touristen müsse man natürlich auch an die seelischen Langzeitfolgen nach traumatischen Ereignissen denken, erklärt Pfarrer Ploch. „Es gibt die Verletzungen der Seele. Erinnerungen kann man niemand nehmen, aber es ist wichtig, dass sie das ganze weitere Leben nicht belasten. Wir Pfarrer müssen in Gesprächen dann erkennen, wann eine therapeutische Behandlung wichtig wäre.“ Vielen Menschen helfe es zu wissen, dass posttraumatische Belastungsstörungen in den ersten Wochen nach einem solchen Unglück völlig normal seien. Es wäre unnormal, wenn sofort danach einfach nur Alltag wäre.

Seit der Flugtagskatastrophe in Ramstein gebe es gute Erfahrungen mit Langzeitbegleitungen. Die Betroffenen und Hinterbliebenen träfen sich in Gruppen zum Gespräch, zum Trauern oder an den Jahrestagen. „Viele sagen, dass ein Ereignis so außergewöhnlich war, kann nur wirklich der nachvollziehen, der es selbst miterlebt hat. Es ist aber auch beruhigend zu wissen, dass viele Menschen wieder zu einem normalen Leben zurückfinden“, so Ploch. Schwierig sei es, wenn sich ein „Vermeidungsverhalten“ manifestiere, das das Weiterleben oder den Beruf unmöglich mache. „Aber auf eine weitere Kreuzfahrt kann man ja getrost verzichten.“

Bordseelsorge ist die pastorale und bewusst ökumenisch gehaltene Seelsorge für Gäste und Besatzung an Bord von Kreuzfahrtschiffen. Die Evangelische Kirche in Deutschland schickt jährlich 100 Geistliche aus, so Margrit Tratz von der Evangelischen Auslandsberatung in Hamburg. Bordseelsorge beinhaltet Gottesdienste, Andachten, Vorträge und vor allem seelsorgerliche Gespräche. Sie ist Bestandteil des Dienstleistungsangebotes der Reiseveranstalter, aber genauso Erfüllung des kirchlichen Auftrags „Gehet hin in alle Welt“. Geeignete Pfarrer werden mit Zustimmung ihrer Gemeinde, des Kirchenkreises und der Landeskirche geschickt.

 

ekir.de / Ebba Hagenberg-Miliu / Evangelische Kirche im Rheinland – EKiR.de / 19.01.2012

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