„Flutengel 2.0“

Traumapädagogin Elke Feuser-Kohler bei einem Hausbesuch im Überschwemmungsgebiet Heimerzheim. Foto: Frank Schultze/ekir.de

Das Wasser ist schon lange verschwunden. Doch die Sorgen bleiben. Auch vier Monate nach der Flut brauchen viele Menschen Unterstützung. Mobile Teams der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL), Diakonie Katastrophenhilfe und der Evangelischen Kirche im Rheinland helfen Betroffenen in neun Regionen direkt in ihrem Zuhause. Ob finanzielle Unterstützung oder psychosoziale Beratung – die Fluthelferinnen und -helfer sind […]

Das Wasser ist schon lange verschwunden. Doch die Sorgen bleiben. Auch vier Monate nach der Flut brauchen viele Menschen Unterstützung. Mobile Teams der Diakonie Rheinland-Westfalen-Lippe (RWL), Diakonie Katastrophenhilfe und der Evangelischen Kirche im Rheinland helfen Betroffenen in neun Regionen direkt in ihrem Zuhause. Ob finanzielle Unterstützung oder psychosoziale Beratung – die Fluthelferinnen und -helfer sind da. Zum Beispiel in Swisttal.

Es gibt diese Straßen, da weiß Elke Feuser-Kohler beim Durchfahren: Hinter jeder Haustür, hinter jedem Fenster ist das Hochwasser noch allgegenwärtig. Zu groß war die Zerstörung, zu intensiv waren die Erlebnisse in der Flutnacht, zu hoffnungslos scheint der Neuanfang. Aber Elke Feuser-Kohler ist eine, die Mut macht, die zeigt: Es geht weiter. Die ausgebildete Traumapädagogin ist im mobilen Hochwasserteam des Diakonischen Werks Bonn und Region für die psychosoziale Betreuung zuständig. Sie besucht die Menschen seit Mitte August, hört zu, unterstützt und versucht, die Angst vor der Zukunft zu nehmen.

„Bei manchen war die Flut einfach eine Überlastung zu viel“, sagt Feuser-Kohler. So wie bei Andrea Zöllner. Mit ihrer Familie verließ sie in der Nacht auf den 15. Juli in Todesangst ihr Haus. Der komplette Keller war bereits vollgelaufen mit Fäkalien, Öl und Schlamm. Darüber zu sprechen, fällt Andrea Zöllner heute noch schwer. Sie sucht oft nach Worten. Vielen Betroffenen helfe es bereits, von Elke Feuser-Kohler, der „Fachfrau“, zu hören, dass die Gefühle und Reaktionen etwas ganz Normales sind nach einem Erlebnis, das erst einmal unbegreiflich erscheint. „Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich diese Hilfe bekomme“, sagt Andrea Zöllner.

 

Individuell und flexibel auf Bedürfnisse eingehen

Die Fluthelferinnen Anneliese Zicoll und Elke Feuser-Kohler in einem Spendenlager in Metternich. Foto: Frank Schultze/ekir.de

„Bei unserem Angebot setzen wir auf hochqualifizierte Mitarbeiter“, beschreibt Marion Schaefer, Geschäftsführerin der Diakonie Bonn, den Anspruch an die mobile Arbeit. Nicht nur in Bonn und Umgebung gibt es mobile Hochwasserhelfer der Diakonie. In insgesamt neun Überschwemmungsgebieten sind die Mitarbeitenden in blauen Jacken unterwegs. Sie nutzen die Strukturen der Diakonie und der Kirchengemeinden vor Ort.

„Wir sind seit dem 15. Juli für die Menschen da und helfen. Zuerst mit Bargeld, Kinderbetreuung und Bautrocknern, jetzt durch unsere mobilen Teams, die noch individueller und flexibler auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen können“, sagt Ulrich T. Christenn, Leiter des Diakonie-RWL-Zentrums Drittmittel und Fundraising. „Wir wollen ganz bewusst Strukturen schaffen, die nachhaltig über Jahre hinweg in den Überschwemmungsgebieten wirken sollen“, ergänzt Helga Siemens-Weibring, Beauftragte für Sozialpolitik, die für die besonders betroffenen Gebiete in Rheinland-Pfalz zuständig ist.

Helfen, wo die Unterstützung vom Staat nicht ausreicht

Die Vollzeitstellen mit Sozialarbeitern, Seelsorgerinnen, psychosozialer Betreuung und Verwaltungskräften sowie die Räumlichkeiten, Autos und technische Ausrüstung werden aus Spendengeldern bezahlt, die Kirche und Diakonie nach der Flut erhalten haben. Die diakonischen Stellen sind zunächst auf zwei Jahre ausgelegt. An einigen Orten arbeiten die Teams bereits seit knapp zwei Monaten, an anderen haben sie Anfang Oktober mit ihrer Arbeit begonnen.

„Die Diakonie unterstützt dort, wo Hilfen vom Staat und von der Versicherung nicht ausreichen“, erklärt Diakonie-RWL-Vorstand Christian Heine-Göttelmann. „Wir haben mit den mobilen Teams vor allem Menschen im Blick, die aktuell alleine nicht gut zurechtkommen: Alleinerziehende und Familien mit mehreren Kindern, Senioren und Menschen mit Migrationshintergrund. Viele von ihnen benötigen Hilfe zur Selbsthilfe.“

Auch die Seele stärken

Es gehe vor allem ums Zuhören, ums Raumgeben, ergänzt Judith Weichsel, Pfarrerin in Bad Münstereifel: „Am Tag drei nach dem Hochwasser war ich bei einer Familie, die in der Nacht vom 14. auf den 15. Juli die Ehefrau, Mutter und Oma verloren hat. Die Fassungslosigkeit war massiv. Ich konnte einfach nur zuhören.“ Heute, Monate nach der Flut, kommen viele das erste Mal zu Judith Weichsel. Helferinnen und Helfer, die die Bilder der Nacht nicht vergessen können, erschöpfte und überforderte Familien. Darum wird ihre seelsorgliche Arbeit weitergehen: Ihre Stelle ist aus Spendengeldern speziell für diesen Zweck aufgestockt worden.

„Das Wasser steckt weiter in den Mauern – und in den Seelen“, beobachtet Dr. Thorsten Latzel, Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland. „Viele Betroffene hatten Erlebnisse, die in ihren Träumen und Gedanken immer wieder auftauchen, wie in einer Endlos-Schleife. Sie gehen damit nicht zum Therapeuten oder Arzt. Deswegen brauchen wir jetzt Flutengel 2.0.“ Die neuen Stellen der seelsorglichen Betreuung speziell für die Überschwemmungsopfer sind direkt an die Arbeit der mobilen Helferteams der Diakonie angebunden. Allein im Ahrtal gibt es sieben zusätzliche Seelsorgende.

Mobile Teams mit Sprechstunden und unterwegs zu Hausbesuchen

Die neun Regionen, in denen die Teams unterwegs sind, liegen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Eins der jüngsten mobilen Teams ist in Trier und dem Umland tätig, zum Beispiel im Ortsteil Ehrang. „Hier wurde vor ein paar Jahren viel Geld in die barocke Architektur der Häuser investiert“, berichtet Mitarbeiter Cornelius Günther. „Und jetzt ist durch den kleinen Bach Kyll wieder alles zerstört.“

Auch vier Monate nach der Flut sind die Auswirkungen im Ortsteil überall zu sehen. Häuser wurden abgerissen, Geschäfte bleiben geschlossen. Das Team wird deshalb noch einmal verstärkt. Mit drei zusätzlichen Vollzeitstellen will die Diakonie auch in den Seitentälern Präsenz zeigen. „Es wird Sprechstunden geben, aber auch gezielt vor Ort Kontakt mit den Betroffenen aufgenommen“, verspricht Carsten Stumpenhorst, Geschäftsführer des Diakonischen Werks Trier und Simmern-Trarbach.

Für die Seelsorgerinnen und Seelsorger und die Mitarbeitenden der mobilen Teams von rheinischer Kirche, Diakonie RWL und der Diakonie Katastrophenhilfe gibt es viel zu tun. Sie bleiben vor Ort. „Und wir geben damit neue Hoffnung“, so Carsten Stumpenhorst.

Jörg Stroisch/Ann-Kristin Herbst/ekir.de