Evangelische Bücherei im Einkaufszentrum – Eine gute Idee?

Großeinkauf im Supermarkt, noch schnell ein Päckchen bei der Post abgeben, ein Rezept in der Apotheke einlösen und dann ein Eis für die nörgelnden Kinder in der Eisdiele, während man selbst beim Friseur sitzt. Dabei kurz verschnaufen – und dann ab nach Hause. So sieht der nachmittags- oder samstagsvormittags Rundlauf vieler Bewohner unseres kleinen Stadtteils […]

Großeinkauf im Supermarkt, noch schnell ein Päckchen bei der Post abgeben, ein Rezept in der Apotheke einlösen und dann ein Eis für die nörgelnden Kinder in der Eisdiele, während man selbst beim Friseur sitzt. Dabei kurz verschnaufen – und dann ab nach Hause. So sieht der nachmittags- oder samstagsvormittags Rundlauf vieler Bewohner unseres kleinen Stadtteils bzw. Vororts aus. Auch eine Reinigung, ein Bankautomat, ein Elektroladen und ein Immobilienmakler hat das kleine Einkaufszentrum (mit großem Parkplatz) zu bieten. Und eine ganze Reihe leerstehender Ladenlokale.

Eines Tages gibt es eine Veränderung. In einem kleinen Ladenecklokal mit großen Schaufenstern, regt sich Leben. Die erste Veränderung ist eine Banderole auf Augenhöhe der Passanten, entlang der gesamten Fensterfläche, mit der Aufschrift: Kontaktladen der Ev. Johannes-Kirchengemeinde. Weiterhin entdeckt man die Schriftzüge: Büro, Eine- Weltladen, Bücherei.

Besuch erwünscht

Und plötzlich herrscht Chaos in dem gut einsehbaren Raum, auch die Banderole kann es nicht verbergen. Ein riesiger Schreibtisch und vor allem viele Regale stehen kreuz und quer im Raum herum. Nach ein paar Tagen lichtet sich die Unordnung und langsam lassen sich Konturen erkennen, die tatsächlich zu den Aufschriften passend erscheinen. Genauer gesagt, drei verschiedene Bereiche schälen sich auf der etwa 30 Quadratmeter große Ladenfläche heraus: Der Schreibtisch markiert im Hintergrund ein Büro, die davor stehenden Stühle signalisieren, dass Besuch erwünscht und erwartet ist. Davor gibt es einen Bereich, der durch bunt mit Lebensmitteln und anderen Dingen gefüllten Regalen und Ständern unschwer als 1-Welt-Laden zu erkennen ist. Auf der anderen Seite des Ladens  werden 7 Regale und ein Schreibtisch aufgestellt – und eine Minibücherei ist geschaffen! Vom Bilderbuch über Kinder- und Jugendbücher bis hin zum anspruchsvollen, aktuellen Roman ist alles dort vorhanden. Auch CDs und DVDs gehören zum Angebot. Was man nicht sieht und ahnt, ist das große Lager im Keller, das etwa zwei Drittel des gesamten Medienbestandes enthält.

Ein Teil der Passanten ist nun froh, zu wissen, wohin man mit seinem Anliegen während der langen Renovierungsphase des Gemeindehauses kommen kann. Ein weiterer Teil ist froh, dass die geliebte Bücherei, wenn auch in recht verkleinerter Form, was sowohl den Platz als auch die Auswahl angeht, erhalten geblieben ist.

Neuentdeckung mit Sogwirkung

Für viele Passanten aber ist dieser „Kontaktladen“ eine Neuentdeckung. Man kann einfach hineineingehen, muss nichts kaufen (man kann natürlich – beim Eine-Welt-Laden), und es gibt quasi etwas umsonst, ein Buch, einen Film oder auch eine Auskunft. Vor allem bei Kindern kann man diese Sogwirkung immer wieder beobachten. Die Zahl der neu aufgenommenen Leser entspricht bereits in den ersten zwei Monaten nach der Öffnung etwa der des gesamten Vorjahres. In den Sommerferien konnte die Bücherei so viele Ausleihen verzeichnen, wie noch nie in dieser sonst eher ruhigen Zeit. Beim Öffnen des Ladenlokals warten meist schon Menschen, – die Frau mit Kopftuch und kleinen Kindern genauso wie der Mann, der den nächsten Krimi ausleihen möchte. Grundschulkinder genauso wie die Dame, die nach Büchern ihres Lieblingsautors oder nach Neuerscheinungen sucht.

Der Ortsteil ist durch eine sehr gemischte Bevölkerung gekennzeichnet. Es gibt viele Nationalitäten und Sprachen, verschiedene Bildungsniveaus. Vertreter aus allen Gruppierungen kommen inzwischen in die Bücherei. Mütter mit Kindern oder jemand, der gerade keine Eile hat, lassen sich gerne auf den zwei kleinen Hockern oder dem kleinen Tisch, der in der Mitte des Raumes steht, nieder, zum Vorlesen oder um selber ein wenig zu schmökern, – oft ungeachtet des Trubels, der in dem doch recht engen Raum herrscht. Ein anderer ist froh, nur schnell auf dem Weg zum Einkaufen sein Buch abgeben zu können, noch schnell einen Gemeindebrief mitnehmen – und weiter geht`s.

Leselager im Schaufenster

Auf einmal fühlt sich das Bücherei-Team mitten im Leben angekommen – und angenommen. Für viele Menschen, über alle alters-, religions- oder sonstigen Unterschiede hinweg, ist dieser kleine „Laden“ eine Oase geworden. Die drei Teams wechseln sich in der Präsenz entweder ab (Gemeindebüro) oder nutzen gerade den Synergieeffekt der gemeinsamen Öffnungszeiten (Bücherei, 1-Welt-Laden). So ist eigentlich immer etwas los in dem Kontaktladen. Die Tatsache, dass hier die Evangelische Johannes-Kirchengemeinde Bad Godesberg ihre Türen in einem Einkaufszentrum geöffnet hat, ist inzwischen für die Bevölkerung zu einer Selbstverständlichkeit und für die Kommune zu einer willkommenen Aufwertung der Ortsmitte geworden. Dass es sich hierbei lediglich um ein zeitlich begrenztes Provisorium handelt, mag manch einer gerne verdrängen.

Andererseits gibt es auch viel Grund zur Freude über die voranschreitenden Sanierungsarbeiten am Gemeindehaus. So hofft man, den neu gewonnen Schwung und vor allem die (nicht nur örtliche Nähe) zur Bevölkerung mit Hilfe der verbesserten Erreichbarkeit und Modernisierung der Räumlichkeiten beim Rückzug ins renovierte Gemeindehaus mitnehmen zu können. Schließlich liegt es direkt neben dem Einkaufszentrum!

Auch der Kindergarten ist inzwischen wieder wöchentlich in der Mini-Bücherei im Einkaufszentrum zu Gast. In kleinen Gruppen (ca. sechs Kinder) kommen die Kinder, mal die Älteren, mal die Jüngeren, um sich Bücher auszusuchen, die sie dann mit in den Kindergarten nehmen. Mit Kissen auf dem Boden verwandelt sich die Bücherei dann für eine Stunde in eine Art Leselager im Schaufenster. Viele Kinder möchten mit ihrer Mutter/oder Vater unbedingt wieder in diesen „Laden“ kommen; zwischen Großeinkauf im Supermarkt, Besuch beim Friseur und dem Eis in der Eisdiele. Eine gute Idee!

Helga Schwarze/buechereien.ekir.de