Ein Brief an Maria
Liebe Maria,
es geht wieder auf Weihnachten zu. In dieser Zeit denke ich oft an deinen
Sohn Jesus. Und an Gott, seinen Vater im Himmel. Ich denke darüber nach, wie
verrückt es ist, dass Gott Mensch geworden ist – und nicht als König, sondern
als Baby, als kleines Bündel Menschlein.
Liebe Maria, ich bin ganz ehrlich: Du warst dabei bisher für mich meist
einfach die stille Frau neben der Krippe. Dabei hast du so viel mehr erlebt!
Wenn ich überlege, wie anstrengend die letzten Tage vor der Geburt gewesen sein
müssen, ohne richtige Unterkunft. Und ob die Hirten mit ihren Schafen wirklich
ein gern gesehener Besuch waren, oder etwas störend. Und dann, kurz darauf,
auch noch diese Könige mit den kostbaren, aber etwas unpraktischen Geschenken.
Mensch, Maria, wie war das eigentlich, als der Engel Gabriel zu dir gekommen
ist und dir die Geburt vorhergesagt hat? Das muss doch vollkommen verrückt
gewesen sein! Ich bewundere dich für deinen Mut, beim Engel nochmal
nachzufragen, wie das eigentlich gehen soll mit der Empfängnis. Was muss das
danach für ein komisches Gefühl mit Jospeh gewesen sein: dass ihr zusammen ein
Kind bekommt, was aber nicht seins ist. Habt ihr darüber gesprochen? Konntet
ihr eure Sorgen und auch eure Freude miteinander teilen? Oder hat das jeder von
euch eher für sich ausgemacht? Oder mit Gott? Und wie was es nach der Geburt,
hast du da gleich gespürt: Ja, dieses Kind ist besonders! Oder war es einfach
euer Kind, klein, zerknautscht und wunderschön?
Später hast du mit Jesus ja noch viel mehr erlebt: Wie war das, als er euch
als kleiner Junge verloren ging und ihr ihn überall gesucht habt, während er im
Tempel saß und diskutierte? Du warst doch bestimmt außer dir vor Sorge um den
kleinen Kerl, oder? Und wie war das, als er größer wurde und fortging mit
seinen Jüngern: Warst du da eher traurig oder doch so stolz? Und wie war er
dann als erwachsener junger Mann? In dieser einen Geschichte von der Hochzeit
in Kana, auf der ihr beide wart, wurde er ja ein bisschen frech zu dir, bevor
er das Wasser in Wein verwandelte… Und dann seine Kreuzigung. Niemand sollte
sowas erleben müssen, Maria.
Mensch, Maria, du musst echt eine starke Frau gewesen sein! Weißt du, in
meiner Kirche reden wir gar nicht so viel über dich. Bei unseren
Glaubensgeschwistern sieht das anders aus: Da wirst du als Heilige verehrt! Dir
müssen die Ohren klingeln, so oft, wie Menschen dort zu dir beten: Ave Maria.
„Gegrüßet seist du, Maria voll der Gnade.“ Unsere katholischen Geschwister richten
ihre Bitten gern an dich, damit du bei Gott ein gutes Wort für sie einlegst. Liebe
Maria, ich glaube, ich brauche dich nicht als Fürsprecherin vor Gott. Aber ich
glaube, ich kann viel über meinen Glauben von dir lernen: Über Demut, Mut und
über großes Gottvertrauen. Dafür danke ich dir, du bemerkenswerte Frau neben
der Krippe.
Deine Dorothee
Dorothee Lindenbaum, Vikarin in Euskirchen, hat eine Andacht in Form eines Briefes an Maria geschrieben. Erschienen im Gemeindejournal Dezember 2023.