„Die Sendung ist würdelos“
Allen Protesten von Verbänden und Politikern, allen Klagen bei Gerichten und Medienanstalten zum Trotz läuft die umstrittene RTL-Sendung „Erwachsen auf Probe“ weiter. Wie beurteilen Sie dieses neue Format?
Die Sendung ist würdelos. Die Diskussion konzentriert sich ja bislang besonders auf die Rechte der Kleinkinder. Wir sehen auch auf die minderjährigen Jugendlichen, die dort mitmachen. Die werden vorgeführt. Letztlich macht man sich über sie lustig. Da ist Schadenfreude im Spiel. Das ist ein reines Sensationsformat. Das ist letztlich Brot und Spiele.
Was sollte Ihrer Meinung nach die rechtliche Konsequenz sein?
Wir müssen darauf schauen, dass auch an diesem Punkt von einem Privatsender nicht weiter gegen die UN-Kinderrechtskonvention verstoßen wird. Dem Schutz vor wirtschaftlicher Ausbeutung und dem Schutz der Privatsphäre und Ehre wird hier nicht Sorge getragen. RTL täte gut daran, das auch im Sinne der gezeigten Jugendlichen zu beherzigen.
Hat die Sendung denn irgendetwas mit realer, tagtäglicher Jugendhilfe zu tun?
Für uns alle, die wir mühevoll in der Jugendhilfe arbeiten, ist diese Sendung ein Schlag ins Gesicht. Die jungen Leute in den Folgen werden mit ihren Problemen schadenfroh alleingelassen. Wir in den Einrichtungen der Jugendhilfe begleiten sie durch die Krise, unterstützen und beraten sie meist über Jahre. Wir erarbeiten mit ihnen zusammen eine Lebensperspektive, bauen Kompetenzen auf. Wir bieten ihnen die Unterstützung, die sie benötigen, um ein selbstbestimmtes Leben führen und dann ihrer Familie eine Zukunft sichern zu können. Da muss auch Familienkompetenz erst erlernt werden. Und dann kommt so eine Sendung und tritt letztlich die Strukturen, die wir in der Jugendhilfe erarbeitet haben, mit Füßen. Das hat nichts mit Beratung zu tun.
Wie viele Teenager-Mütter gibt es eigentlich jährlich in Deutschland?
Die Zahlen steigen. Jährlich werden rund 10.000 Mädchen unter 18 Jahren in Deutschland schwanger. Etwa die Hälfte von ihnen bringt das Kind zur Welt. Ich behaupte, in sehr vielen Fällen aus Perspektivlosigkeit. Denn viele der Mädchen, die schwanger werden, sehen in dem Kind eine Chance, einfach einen Menschen zu haben, der einem vertraut und der immer da ist. Viele Jugendliche versuchen so, die Familie zu gründen, die sie selber nicht haben. Ein Großteil der jungen Mädchen hat das Gefühl, sich einzig über den Status Mutter Anerkennung verschaffen zu können. Dabei sollte es ja ein langer Weg sein, verantwortlich Mutter oder Vater zu werden.
Sehen Sie da gerade für evangelische Jugendhilfeeinrichtungen ein wichtiges Arbeitsfeld?
Ja sicher. 84 evangelische Erziehungshilfeträger im Rheinland, also im Gebiet der Landeskirche von Emmerich bis Saarbrücken, gehören unserem Fachverband an. Da steht nicht nur evangelisch drüber, das meinen wir auch so. Mir ist der zutiefst soziale Aspekt unserer Arbeit wichtig. In erster Linie geht es um die Zuwendung dem Einzelnen gegenüber. Aber mir ist auch immer die Veränderung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wichtig. Es geht darum, dass wir die auch soziale Sprengkraft der Botschaft des Evangeliums zeigen. Das vermisse ich leider oft in der Arbeit der Kirchen. Nicht ohne Grund ist in unserer Bonner Evangelischen Jugendhilfe Godesheim also auch eine hauptamtliche Pastorin eingebunden. Und von solchen Überlegungen, Jugendlichen effektive und seriöse Hilfe zu bieten, ist die RTL-Sendung weit entfernt.
Ein ekir.de-Interview von Ebba Hagenberg-Miliu / 17.06.2009
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