Bildungsgerechtigkeit – aber wie?

Über sechzig Religionslehrerinnen und -lehrer haben in Bonn über das Erreichen von mehr Bildungsgerechtigkeit diskutiert. Unterstützt wurden die Lehrkräfte aller Schulformen dabei von bildungspolitischen Experten aus Kirche und Politik. Das gemeinsame Schulreferat der Kirchenkreise An Sieg und Rhein, Bad Godesberg-Voreifel und Bonn hatte am Mittwoch zum Tag des Religionsunterrichts in das Haus der Evangelischen Kirche […]

Über sechzig Religionslehrerinnen und -lehrer haben in Bonn über das Erreichen von mehr Bildungsgerechtigkeit diskutiert. Unterstützt wurden die Lehrkräfte aller Schulformen dabei von bildungspolitischen Experten aus Kirche und Politik.

Das gemeinsame Schulreferat der Kirchenkreise An Sieg und Rhein, Bad Godesberg-Voreifel und Bonn hatte am Mittwoch zum Tag des Religionsunterrichts in das Haus der Evangelischen Kirche eingeladen. „Als zentrales kirchliches und gesellschaftliches Anliegen steht das Erreichen von mehr Bildungsgerechtigkeit ganz oben auf der bildungspolitischen Agenda“, betont Schulreferentin Dr. Beate Sträter. Deshalb ist es besonders wichtig, „dass wir sowohl untereinander, wie auch mit der Politik ins Gespräch kommen“.

In seinem Impulsreferat erläuterte der Religionspädagoge Friedhelm Kraft, dass die bildungsgerechte Schule bisher nur Vision sei. Als zentrale Ursache benannte der Rektor des Religionspädagogischen Instituts Loccum „die frühe Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf unterschiedliche Schulformen“. Er mahnte Rahmenbedingungen an, wo Kinder die Lust am Lernen nicht verlieren. Als pragmatische Lösung sprach sich Kraft für ein „Zwei-Säulen-Modell“ aus. Es sieht neben dem Gymnasium eine weitere Schulform für alle vor. Die Rolle der Kirchen solle sein, Veränderungsprozesse für eine Schule der Zukunft anzustoßen und zu begleiten.

 

 

Bildungsgerechtigkeit war auch das Thema der öffentlichen Podiumsdiskussion, die das Evangelische Schulreferat in Bonn in Kooperation mit dem Evangelischen Forum am Nachmittag organisiert hatte. Dieses Ziel unbedingt zu erreichen, darin waren sich die religionspädagogischen und bildungspolitischen Experten aus Kirche und Politik schnell einig. Doch der Weg dahin war umstritten. Renate Hendricks (SPD) setzt auf eine bessere Unterstützung der Familien und eine verbesserte Ausstattung von Kindertagesstätten, um Sprachfähigkeit zu entwickeln. „Wir müssen die Lernmilieus aufbrechen, die Kinder von Bildung ausschließen“, so die Bonner Landtagsabgeordnete. Dr. Friedhelm Kraft plädierte für ein zweigliedriges Schulsystem und länderübergreifende Konsense. Neben der äußeren müsse es auch eine innere Schulreform geben, so der Rektor des Religionspädagogischen Instituts Loccum. „Schule kämpft heute mit einem großen Vertrauensverlust von Elternseite.“ Das Vertrauen müsse gemeinsam wieder erkämpft werden.

Ein inklusives Bildungssystem für alle Kinder forderte Landtagsabgeordnete Sigrid Beer ein. Die bildungspolitische Sprecherin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mahnte den Blick über den Zaun auf andere Schulen an. „Viele haben schon heute einen anderen Blick auf die Kinder entwickelt.“ Eine Schule für alle ist das Ziel von Gunhild Böth. Sie verwies auf das Beispiel der Laborschule Bielefeld, wo Lernen in altersgemischten Gruppen gelänge. Die bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei forderte eine „Umkehr des Leitgedankens“. Nicht das Aussortieren und Abgeben von Schülern, sondern die Begleitung bis zum angestrebten Bildungsziel sei die Aufgabe von Schule. Für Benedikt Hauser ist die Frage, „welche und wie viele Lehrer es gibt, wichtiger als die Schulstruktur“. Gleichwohl würden sich aufgrund der demografischen Entwicklung Kommunen auf dem „flachen“ Land der Frage stellen müssen, ob es überhaupt noch einen Schulstandort gäbe, so der CDU-Landtagsabgeordnete aus Bonn.

Lieblingsschule und Modell zugleich ist für Klaus Eberl die evangelische Schule für Circuskinder. „Hier hat jedes Kind eine Tournee“, erläuterte der Leiter der Abteilung Bildung im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland. Das Lernen im Modulsystem, in unterschiedlichem Tempo und in altersgemischten Gruppen werde praktiziert. Solche Akzente zu setzen und sich von „normalen“ Schulen zu unterscheiden sei Aufgabe evangelischer Schulen. Dazu gehöre auch Schulseelsorge, die Kooperation mit Jugendarbeit und außerschulischen Lernorten sowie Modelle von Inklusion. „Das ist teuerer und erfordert mehr Kraftaufwand, aber unsere Schulen müssen Pilotprojekte sein.“

 

 

In schul- und jahrgangsspezifischen Arbeitsgruppen wurde am Nachmittag die Frage der Gerechtigkeit anhand von Beispielen für den Religionsunterricht vertiefend weiter bearbeitet. „Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nahmen intensiv das umfangreiche Angebot am Büchertisch der Godesberger Buchhandlung Tenter wahr,“ so Friedrich Talmon. Gemeinsam mit seiner Kollegin Beate Sträter hatte er den alljährlich stattfindenden „Tag des Religionsunterrichts“ organisiert. Er zeigte sich erfreut, „dass es neben der fachlichen Diskussion und dem Austausch unterrichtspraktischer Erfahrungen auch Raum für vertrauensvolle Gespräche und Begegnung gab“. 

 
Vortrag Dr. Friedhelm Kraft: Auf dem Weg zu mehr Bildungsgerechtigkeit? Zur Debatte um eine bildungsgerechte Schule. Tag des Religionsunterrichts, Bonn, 17. November 2010
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Text und Fotos: Uta Garbisch /

 

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