Aus evangelisch wird russisch-orthodox

Schweren Herzens trennt sich die Johannes-Kirchengemeinde von der Marienforster Kirche. Foto: Johannes-Kirchengemeinde

Abschiedsgottesdienst am 21. Mai: Die Gottesdienstreihen lichten sich: Die Bonn-Bad Godesberger Johannes-Kirchengemeinde sieht sich bei nur noch 4.400 Mitgliedern gezwungen, sich von einer ihrer vier Kirchen zu trennen. Glückliche Käuferin ist die Russisch-Orthodoxe Gemeinde. Bauchschmerzen hatte das Presbyterium der Johannes-Kirchengemeinde an diesem Sonntagmorgen in Bonn-Bad Godesberg bei ihrer Gemeindeversammlung offensichtlich schon. Der Programmpunkt „Immobilien“ sollte […]

Abschiedsgottesdienst am 21. Mai:

Die Gottesdienstreihen lichten sich: Die Bonn-Bad Godesberger Johannes-Kirchengemeinde sieht sich bei nur noch 4.400 Mitgliedern gezwungen, sich von einer ihrer vier Kirchen zu trennen. Glückliche Käuferin ist die Russisch-Orthodoxe Gemeinde.

Bauchschmerzen hatte das Presbyterium der Johannes-Kirchengemeinde an diesem Sonntagmorgen in Bonn-Bad Godesberg bei ihrer Gemeindeversammlung offensichtlich schon. Der Programmpunkt „Immobilien“ sollte erst ganz am Schluss besprochen werden. Nun betritt Pfarrer Jan Gruzlak das thematische Minenfeld: Eine der vier Gemeindekirchen sei gerade verkauft worden, die Marienforster Kirche, erklärt er.

Deren 50. Geburtstag habe man zwar erst Ende 2016 gefeiert. Aber seit Jahren stehe fest: Die Gemeinde werde sich genau von dieser Kirche trennen, die von allen am weitesten abgelegen ist. Man habe nur noch knapp 4.400 Gemeindeglieder statt wie vor 20 Jahren über 9.300, mit weiter rückläufiger Tendenz, schon aufgrund der demografischen Entwicklung.

 

Die Kirche muss entwidmet und wieder zugelassen werden

„Wir freuen uns nun, dass unsere Kirche Kirche bleiben kann. Denn wir haben sie an die Russisch-Orthodoxe Gemeinde Bonn und damit an christliche Schwestern und Brüder verkauft“, verdeutlicht Presbyter Hans-Georg Kercher. Und zwar zu einer „sehr zufriedenstellenden sechsstelligen Eurosumme“.

Im Juni werde der orthodoxe Pfarrer Eugen Theodor, ein Wolgadeutscher, der 2004 nach Deutschland kam, mit seiner zum Moskauer Patriarchat gehörenden Gemeinde in die Kirche ziehen: erst zur Miete und ab 2018 in Eigentum. Im Anbau werde das orthodoxe Gemeindeleben stattfinden. Die Kirche müsse dafür erst von der Landeskirche entwidmet und dann wieder für die orthodoxe Gemeinde zugelassen werden, die sie weiter regelmäßig als Gottesdienstraum nutze, erläutert Kercher das Prozedere.

Erst herrscht Stille in der Gemeindeversammlung, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Pfarrer Gruzlak blickt sich nervös um, er scheint eine längere Diskussion der rund 80 Besucherinnen und Besucher zu erwarten und gewappnet zu sein, auch Widerspruch zu hören und erklären zu müssen, dass die neue Nutzung, konform mit den kirchlichen Regeln, in keinem Widerspruch zu ihrer ursprünglichen Bestimmung stehen werde. In mehreren vorherigen Gemeindeversammlungen war erklärt worden, dass man die Kirche nicht für die Gemeinde retten könne.

 

Die Orthodoxen werden nur eine Ikonenwand einbauen

Ja, erläutert Pfarrer Gruzlak weiter, diese orthodoxe Gemeinde, die zur Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) gehört, stehe natürlich dem benachbarten russischen Konsulat in Bonn und damit der russischen Regierung sehr nah. „Aber wir hoffen, damit auch etwas für die deutsch-russische Annäherung zu tun und in den ökumenischen Austausch zu kommen.“ Der orthodoxe Kollege wolle eine Ikonenwand in die Kirche einbauen, aber sie ansonsten nicht verändern. Das Presbyterium überlege, ob es das riesige Holzkreuz hinter dem Altar und das Taufbecken in eine seiner verbleibenden Kirchen hole, so Gruzlak.

Nun melden sich die Ersten in der Versammlung. Und sie teilen die Hoffnung auf eine wirkungsvollere Ökumene. „Aber können wir dann gar nicht mehr in unsere Kirche zurück?“, fragt irgendwann ein Mann. Das Presbyterium habe entschieden, mit dem Verkauf einen Schnitt zu tun und auch nicht auf das Angebot der Orthodoxen einzugehen, noch einzelne Gottesdienste vor Ort zu feiern, antwortet Presbyter Kercher. Außerdem wird zu einer Arbeitsgruppe eingeladen, die in einer der drei verbliebenen Kirchen der Gemeinde ein besonderes Angebot für den Umkreis der wegfallenden Kirche installieren soll.

 

„Denen, die hier getauft wurden, blutet das Herz“

Der Verkauf einer Kirche mache betroffen, auch wenn sie in der christlichen Gemeinschaft bleibe, meldet sich schließlich eine Frau. Nach Zuzug erst der Weltkriegsflüchtlinge und dann der Bundesbeamten habe es ab den 1950er Jahren in Bonn einen Boom an Protestanten gegeben. Gotteshaus um Gotteshaus sei hochgezogen worden.

Heute sänken die Kirchenmitgliedszahlen. Und die Reihen in den Gottesdiensten lichteten sich. „Und trotzdem blutet uns, die hier getauft, konfirmiert und getraut wurden, das Herz“, sagt die Frau. Die Gemeinde trenne sich zudem von ihrer unbestritten schönsten Kirche, die auch Bonner Hauptstadtgeschichte geschrieben habe: Die Pfarrer Klaus Lohmann, Theo Brandt und Klaus Kohl hätten die Kirche einst zu einem bekannten Treffpunkt sozial- und friedenspolitischer Diskussionen gemacht.

Er verstehe den Schmerz einiger Gemeindeglieder, kommentiert Pfarrer Gruzlak. Auch er selbst sei mit seiner Frau hier getraut worden. „Aber tröstlich empfinde ich, dass die Kirche weiterhin ein durchbeteter Raum bleibt.“ Die Beheimatung der Russisch-Orthodoxen Gemeinde bedeute zudem eine Bereicherung der Ökumene, auf die er bereits neugierig sei.

 

Gottesdienst im Schichtwechsel

Szenenwechsel. Rund 80 russisch-orthodoxe Christinnen und Christen feiern Gottesdienst in der Krypta unterhalb der Bonn-Bad Godesberger katholischen Kirche St. Augustinus. Pfarrer Eugen Theodor teilt nach und nach das Abendmahl aus. Gläubige küssen den goldenen Kelch. Versinken in inbrünstiges Gebet. Von der Ikonostase, also der Bilderwand der Orthodoxie, blitzen im Kerzenschein Ikonenbilder. Frauenstimmen singen die russische Liturgie. Immer wieder bekreuzigen sich die Feiernden. Ältere Frauen wischen sich in der Enge den Schweiß von den Gesichtern.

Durch die Kellerfenster sieht man draußen die Füße von Dutzenden, die warten, per Schichtwechsel endlich auch in den Gottesdienst gelassen zu werden. Vom Eingang blickt auf einem Foto der Moskauer Patriarch Kyrill auf die Gemeinde. Pfarrer Theodor spricht auf Russisch das Schlusswort. Für den nicht Slawischkundigen war immerhin „Marienforster Kirche“ verstehbar: Die Bonner Gemeinde Mariä Schutz rüste sich, im Juni diese evangelische Kirche zu übernehmen.

Neues spirituelles Zuhause

„Wir sind darüber sehr froh. Ich habe mir die schöne Kirche schon angeschaut“, erklärt draußen Rodion Orlinski aus Usbekistan. Für den jungen Familienvater bietet die Gemeinde ein spirituelles Zuhause und einen Ort, den christlichen Glauben in russischer Sprache zu leben.

„Meine 83-jährige Mutter wäre sonst vor Heimweh krank. Wir kommen jeden Sonntag“, berichtet Olga Pilifosova, eine UN-Mitarbeiterin. Mutter Gazina wischt sich eine Träne aus den Augen. Neben ihr erzählt Natalia Johag, die aus der Ukraine kam, wie wichtig die Ökumene sei. Sie habe einen katholischen Ehemann und der Sohn singe im evangelischen Jugendchor. „Wir sind international.“ Da passe es doch sehr gut, dass sie als Orthodoxe bald in einer evangelischen Kirche feiern können.
Die Orthodoxen hätten auf der Straße gestanden

Pfarrer Eugen Theodor kommt nun selbst aus der Krypta. Knapp 3.000 Mitglieder aus dem Einzugsbereich Bonn/Rhein-Sieg zähle seine wachsende Gemeinde aktuell, erläutert er. Spätaussiedler seien genauso darunter wie deutsch-russische Paare, Studenten, Mitarbeiter der russischen und ukrainischen Konsulate, Orthodoxe anderer slawischer Sprachen sowie spirituell interessierte Deutsche.

Man finanziere sich nur aus Spenden und sei nun überglücklich, die Marienforster Kirche mit Hilfe der orthodoxen Diözese und von Spendern erst mieten und zum 1. Januar 2018 kaufen zu können. Die Gemeinde hätte ansonsten auf der Straße gestanden, sagt Pfarrer Theodor.

Eigentlich habe er in Verhandlungen mit dem katholischen Seelsorgebereich Bad Godesberg darauf gesetzt, aus der Krypta in dessen Kirche St. Augustinus hochziehen, sie kaufen zu können, erzählt er dann. In St. Augustinus finde nur noch ein Samstaggottesdienst statt. Er habe dem Seelsorgebereich auch zugesagt, diese Messe weiterhin dort feiern zu können.

Dann habe der den Erbpachtpreis nach Meinung der Orthodoxen hoch angesetzt. „Das konnten wir nicht zahlen. Daraufhin wurde uns gekündigt“, erklärt Pfarrer Theodor. Zum Glück habe man sich kurzfristig mit der evangelischen Gemeinde einigen können. Der katholische Seelsorgebereich machte daraufhin öffentlich, man habe den nach den Richtwerten üblichen Erbpachtzins berechnet,  und man hätte sich einen positiven Abschluss der Verhandlungen gewünscht.

Der orthodoxe Pfarrer will nun die Marienforster Kirche offen halten. „Jeder, dem die Kirche am Herzen liegt, kann in Absprache mit uns dort weiterhin seine Hochzeit, Taufen und Beerdigungen planen“, verspricht der orthodoxe Pfarrer. „Diese Kirche bleibt weiterhin für alle offen.“

 

Die Johannes-Kirchengemeinde verabschiedet sich am Sonntag,  21. Mai, 15 Uhr, mit anschließendem Empfang von der Marienforster Kirche, Am Draitschbusch, 53177 Bonn. Die Russisch-Orthodoxe Gemeinde begrüßt dort am Sonntag, 3. Juni, ab 9 Uhr zu ihrem ersten Gottesdienst.

 

Homepage der Johannes-Kirchengemeinde

Homepage der Russisch-Orthodoxen-Kirche Bonn

 

ekir.de / Ebba Hagenberg-Miliu / 18.04.2017