Zu Besuch im vergessenen Rheinland

Die Besuchsdelegation der Evangelischen Heilandkirchengemeinde aus Bonn wird von Mitgliedern der Rheinischen Kirche in Südafrika am Flughafen Kapstadt empfangen. In der Mitte Präses Ashley Fransman.

Wiederentdeckt: Die Rheinische Kirche in Südafrika war im hiesigen Rheinland lange Zeit aus dem Blick geraten. Jetzt gibt es neue Kontakte und die erste Gemeindepartnerschaft einsteht – mit der Bonner Heiland-Kirchengemeinde. Yvonne Groenewald hat viel vor. Auf dem sandigen Platz mit spärlichem Grasbewuchs mitten im Ort soll Ende des Jahres eine Kirche mit Gemeindezentrum stehen. […]

Wiederentdeckt: Die Rheinische Kirche in Südafrika war im hiesigen Rheinland lange Zeit aus dem Blick geraten. Jetzt gibt es neue Kontakte und die erste Gemeindepartnerschaft einsteht – mit der Bonner Heiland-Kirchengemeinde.

Yvonne Groenewald hat viel vor. Auf dem sandigen Platz mit spärlichem Grasbewuchs mitten im Ort soll Ende des Jahres eine Kirche mit Gemeindezentrum stehen. „Dann können die Jugendlichen hier Sport machen und lungern nicht auf der Straße herum“, sagt sie. Manchmal würde sie gerne ihren Ruhestand genießen und 230 Kilometer südlich nach Kapstadt ziehen. „Aber hier ist noch so viel zu tun“, wischt sie alle Gedanken weg.

Yvonne Groenewald ist 72 Jahre alt und Pastorin in Clanwilliam, einem Ort von knapp 8000 Einwohnern im südafrikanischen Westkap. Die Jugendlichen brauchen sie. Es gibt keine Disco, keinen Sportclub, keinen Fußballplatz, nichts. Und kaum Arbeit. Ein paar Jobs auf den Rooibosh- oder Mangoplantagen in der Umgebung, ein paar bei den Betrieben und Restaurants.

„Sie machen, was sie von ihren Vätern gelernt haben – trinken“

Viele Heranwachsende hängen den ganzen Tag vor den zwei Supermärkten des Ortes ab. Erst abends kehren sie zurück in die Häuser ihrer Familien, die die Regierung hat aufstellen lassen, drei Zimmer auf 28 Quadratmetern. Eine winzige Küche, ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, in dem der Fernseher nur verstummt, wenn der Strom wieder einmal abgeschaltet wird. „So machen sie das, was sie von ihren Vätern gelernt haben“, sagt Yvonne Groenewald. „Sie trinken.“

Yvonne ist Pastorin der Rheinischen Kirche in Südafrika. Neun der zehn Gemeinden der Kirche liegen in Kapstadt, in den von Farbigen bewohnten Vierteln um den Flughafen. Clanwilliam ist eine Ausnahme, eine Halbtagesfahrt nach Norden.

40 Leute auf Gartenstühlen im Wohnzimmer – auch das ist Gottesdienst

Die rheinischen Besucherinnen und Besucher beim Wohnzimmer-Gottesdienst in Clanwilliam.

Die rheinischen Besucherinnen und Besucher beim Wohnzimmer-Gottesdienst in Clanwilliam.

Einstweilen findet der Gottesdienst in Groenewalds Wohnzimmer statt. Ihr Haus ist etwas größer. Dann wird der Fernseher in die Ecke geschoben und die mit Baumstämmen verzierte Kanzel vorgerückt. Um die 40 Leute sitzen auf Gartenstühlen aus blauem Kunststoff, die nachher wieder an der Rückwand aufgestapelt werden.

Heute ist Präses Ashley Fransman zu Besuch gekommen und sein Stellvertreter Daniel Sass. Sie begleiten eine Delegation der Heilandkirchengemeinde aus Bonn, die eine Partnerschaft zur Rheinischen Kirche anknüpfen will. „Wir hoffen, dass wir Yvonnes Haus demnächst kaufen können“, sagt Fransman. „Und die Kirche wird Ende des Jahres stehen; das Grundstück gehört schon der Kirche.“

Noch immer können Farbige nicht einfach Land von Weißen übernehmen

Die Verkäufer waren Nachfahren der ersten Missionare. Der Kauf gestaltete sich schwierig. Denn auch heute noch, 20 Jahre nach dem Ende der Rassentrennung, können Farbige nicht einfach Land von Weißen übernehmen.

In Clanwilliam bei Kapstadt soll eine Kirche gebaut werden, die dem ganzen Ort Hoffnung gibt.

In Clanwilliam bei Kapstadt soll eine Kirche gebaut werden, die dem ganzen Ort Hoffnung gibt.

Warum Clanwilliam, so weit von den anderen Gemeinden entfernt? Es ist die Ursprungsregion der Kirche, erklärt Präses Fransman. Die Kirche ging aus der Missionsarbeit der Rheinischen Mission hervor. Der Gründermissionar Johann Gottfried Leipoldt hat wenige Kilometer weiter seine Arbeit begonnen und dort den Ort Wupperthal gegründet, in Erinnerung an den Sitz der Rheinischen Mission. In Wupperthal ist er 1872 gestorben. Leipoldts Name ist auch in Clanwilliam allgegenwärtig.

„Ich bin rheinisch und stolz drauf“

Ein Hotel, eine Straße und mehrere Firmen tragen seinen Namen. Einer seiner Nachfolger, Wilhelm Max Strassberger, starb 1959 hier. Auch sein Name findet sich auf einem Straßenschild und an mehreren Häusern.

Eine Frau, die den Besuchern aus Kapstadt und Bonn ihr kleines Haus zur Besichtigung öffnet, zeigt auf einen Aufkleber an ihrer Kühlschranktür. Darauf steht in Afrikaans: „Ich bin rheinisch, und ich bin stolz darauf.“

In der südafrikanischen Kapregion sind Menschen stolz darauf, Mitglieder der rheinischen Kirche zu sein.

In der südafrikanischen Kapregion sind Menschen stolz darauf, Mitglieder der rheinischen

Rheinisch, das ist hier ein Markenzeichen, ein Qualitätssiegel und ein Herkunftsnachweis. Es zeigt eine Verbindung, die die Kirche in den letzten Jahren wieder neu angeknüpft hat. Deshalb ist ihr die neue Partnerschaft mit der Bonner Gemeinde, die sich anbahnt, sehr wichtig.

Die Rheinische Mission zog sich in den 1930er-Jahren zurück

Denn die Verbindung ist in den Nachkriegsjahren verlorengegangen. Die Rheinische Mission beschloss in den Dreißigerjahren, sich aus Südafrika zurückzuziehen. Ihre Gemeinden und deren Kirchen wollte sie der Niederländisch-Reformierten Kirche übertragen. Doch die praktizierte Rassentrennung. Für Farbige und Schwarze hatte sie „Missionskirchen“ gegründet. Heute sind sie in der „Uniting Reformed Church in South Africa“ (URCSA) vereinigt.

Drei Gemeinden widersetzten sich der Übertragung und nannten sich fortan „Selbstständige Rheinische Kirche“. Nach einem jahrelangen Konflikt gingen der Ort Wupperthal und seine Gebäude an die Herrnhuter Brüdergemeine. Die Beziehungen zu den widerständigen Gemeinden gerieten in Vergessenheit. Mache älteren Mitglieder fühlen sich bis heute verstoßen, sagt Präses Fransman.  Er selber hat die späten Konflikte noch als Student erlebt.

In den Quartieren sind die Gemeinden fester Bestandteil

Aus den ursprünglich drei Gemeinden sind die heutigen zehn geworden. In ihren Quartieren sind sie ein fester Bestandteil des sozialen Lebens. Im Kapstadter Vorort Ravensmead, wo Fransman auch Gemeindepastor ist, versorgt die Gemeinde ambulante und stationäre Krankenhauspatienten, die oft mittellos in Kapstadt ankommen. Das Jugendkomitee der Kirche versucht Jugendliche mit Hilfs- und Beschäftigungsangeboten aus den Abgründen von Drogen, Kriminalität und Alkohol zu holen. Die Jugendarbeitslosigkeit in Südafrika liegt bei weit über 50 Prozent.

Die Gemeinde im Vorort Belhar betreibt einen Kindergarten. Die größte Gemeinde in Elsies River, die einzige mit einem hauptamtlichen Pastor, organisiert Hilfsangebote für Ältere, die auch in Südafrika immer öfter vereinsamen. An den Rückwänden vieler Kirchen mit den mächtigen Kanzeln finden sich mit Glas abgetrennte Räume für Kleinkinder und ihre Eltern.

Auf  der Landessynode 2019 gab es eine Gedenkzeremonie

Vor einigen Jahren ist der Kontakt ins deutsche Wuppertal neu geknüpft worden, zur heutigen Vereinten Evangelischen Mission, und zum Landeskirchenamt in Düsseldorf. Auf der Landessynode 2019 in Bad Neuenahr fand eine Gedenkzeremonie statt.

Der Partnschaftsbeauftragte, Pastor Tommy Solomons, erklärte den Schmerz der Gemeinden: „Unsere geistlichen Mütter und Väter haben uns als Waisen zurückgelassen.“ Die farbigen Gemeinden seien bei der Trennung übergangen worden: „Wir haben unsere Identität und unseren Besitz verloren; die Kirche hat das gleiche mit uns gemacht wie die Apartheidsregierung.“

„Wir suchen Freunde“

Dreimal haben Mitglieder der Kirche inzwischen auch die Bonner Partnergemeinde besucht, dreimal waren Vertreter der Gemeinde in Südafrika, zuletzt im Februar 2020. Beim Besuch aus Kapstadt im Januar 2019 formulierte Pastor Joseph van Houten aus der Vorstadt Mitchells Plain das Thema, das seither über den Besuchen steht: „Wir suchen Freunde“. Freunde aus dem Rheinland stehen bei der Rheinischen Kirche in Südafrika für ihren Ursprung, für Ermutigung im Glauben und im Engagement für die Menschen in ihrer Region, in Clanwilliam und in Kapstadt.

Als die Delegation damals wieder abfuhr, bat Präses Ashley Fransman um einen Halt am Rhein. Er stieg aus und füllte eine Colaflasche mit Rheinwasser. Zuhause hat er seine Enkelin Gia damit getauft.