Was kann uns Dietrich Bonhoeffer heute sagen?

Am 4. Februar wäre Dietrich Bonhoeffer 100 Jahre alt geworden. Im April 1945 erhängten ihn die Nationalsozialisten im KZ Flossenbürg. Aus Anlass des Geburtstages führte Harald Uhl mit Renate Bethge, einer Nichte Bonhoeffers, ein Gespräch. Frau Bethge, können Sie sich als Nichte von Dietrich Bonhoeffer an Ihre erste und an Ihre letzte Begegnung mit diesem […]

Am 4. Februar wäre Dietrich Bonhoeffer 100 Jahre alt geworden. Im April 1945 erhängten ihn die Nationalsozialisten im KZ Flossenbürg. Aus Anlass des Geburtstages führte Harald Uhl mit Renate Bethge, einer Nichte Bonhoeffers, ein Gespräch.

Frau Bethge, können Sie sich als Nichte von Dietrich Bonhoeffer an Ihre erste und an Ihre letzte Begegnung mit diesem bedeutenden Theologen erinnern?

Renate Bethge: Mit meinem Onkel Dietrich verbindet mich eine sehr frühe Kindheitserinnerung – ich war knapp fünf Jahre alt, als meine Schwester Christine durch ihn getauft wurde; daran und dass er dabei die Predigt hielt, erinnere mich gut. Ab 1935, meinem 10. Lebensjahr, lebte unsere Familie Schleicher im Nebenhaus von Familie Bonhoeffer. Bevor Onkel Dietrich 1939 in die USA reiste, fotografierte er Familienmitglieder und auch mich – ich zierte mich zuerst, weil ich nicht ordentlich frisiert war. Aber in dieser Zeit und in den ersten Kriegsjahren gab es fast täglich Kontakt zwischen unseren Nachbarfamilien, die Häuser waren ja nur durch einen großen Garten getrennt. Häufig hörte ich Onkel Dietrichs Klavierspiel durch die geöffneten Fenster, später sein Spiel und Singen mit seinem Freund Eberhard Bethge, den ich dadurch kennengelernt und 1943 geheiratet habe.

Meine letzte Begegnung fand im Frühjahr 1944 statt, als meinem Mann und mir überraschend ein Besuch im Militärgefängnis Tegel und eine an sich nicht genehmigte Begegnung mit Dietrich Bonhoeffer ermöglicht wurde. Unvergessen ist mir, wie hoffnungsvoll und optimistisch er uns entgegentrat und das Gespräch führte.

 

Wie würden Sie aus dieser sehr privaten Sicht die Persönlichkeit von Dietrich Bonhoeffer charakterisieren?

Renate Bethge: Dietrich Bonhoeffers Persönlichkeit war durch Fröhlichkeit, Optimismus und große Offenheit geprägt. Er hatte Freude, auf andere Menschen zuzugehen, liebte Geselligkeit und das Gespräch mit Menschen – über die unterschiedlichsten Themen, von der Theologie über die Musik bis zur Politik. Selbstverständlich gab es bei ihm auch Zeiten, in denen er sich zur wissenschaftlichen Arbeit zurückzog und sich dann von allen äußeren Einflüssen abschloss.

Hervorstechend war aber für mich seine Gesprächsfreudigkeit. So konnte er mit meinem Vater Rüdiger Schleicher, der im Frühjahr 1945 ebenfalls ermordet wurde, ausführlich und wiederholt über die Bedeutung des Gewissens für persönliche Entscheidungen diskutieren, wobei ihm das durch Christus befreite Gewissen besonders wichtig war.

Welche Bedeutung hatten Kirche und Gemeinde für Dietrich Bonhoeffer?

Renate Bethge: Bonhoeffer hatte sehr intensive Gemeindephasen – in Berlin als Vikar im Wedding in einer Arbeitergegend, wo er ganz neue Formen des Konfirmandenunterrichts erprobte, oder in London als deutscher Auslandspfarrer, wo er neben der Predigttätigkeit auch intensiv mit sozialen Problemen deutscher Emigranten beschäftigt war. Ab 1939 in Berlin hatte er –auch wegen der einsetzenden politischen Gefährdung – keine „Heimatgemeinde“ mehr, wir hielten uns zur Dahlemer Gemeinde, wo Pfarrer Walter Dreß das Erbe des inzwischen im KZ Dachau inhaftierten Martin Niemöller fortsetzte, oder zur Kaiser-Wilhelms-Gedächtnis-Kirche mit Pfarrer Gerhard Jacobi.

Zur Kirche als hierarchischer Organisation hatte Bonhoeffer, den Zeitumständen entsprechend, ein kritisches Verhältnis. Er erlebte sie als auf Selbsterhaltung bedacht, politisch anpassungsbereit und theologisch wenig substantiell. Sehr früh hat er auch die strukturellen Schwächen der Bekennenden Kirche erkannt, die z.B. in der Judenfrage fast völlig stumm blieb. Seine eigenen Vorstellungen von Kirche sind fragmentarisch geblieben, viele seiner entsprechenden Text sind verloren gegangen. In der ökumenischen Bewegung und in der kommunitären Gemeindeform hat er Elemente für die Zukunft der Kirche gesehen.

 

Was hat uns Dietrich Bonhoeffer heute, hundert Jahre nach seiner Geburt, zu sagen?

Renate Bethge: Es gibt für mich zwei Schlüsselsätze, die – auch nach meinen Erfahrungen in vielen internationalen Begegnungen, etwa in den USA – für Theologie und Kirche zusätzlich zum Zeugnis seines Lebens als Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer wirksam geblieben sind. Der eine Satz steht im Brief aus dem Gefängnis in Tegel vom 18. Mai 1944 zur Taufe unseres ersten Sohnes Dietrich, für den er das Patenamt übernommen hatte:“ Unser Christsein wird heute nur in zweierlei bestehen: im Beten und im Tun des Gerechten unter den Menschen“. Bonhoeffer hat gefordert, dass alles Denken, Reden und Organisieren  in den Dingen des Christentums  neugeboren werden muss aus diesem Beten und diesem Tun – eine Aufgabe, die noch immer, 60 Jahre seither, vor uns liegt.

Und der andere Satz ist im ebenfalls in der Haft im Juli/August 1944  im „Entwurf einer Arbeit“ enthalten und lautet sehr lapidar:“ Die Kirche ist nur Kirche, wenn sie für andere da ist“. Damit ist eine radikale Absage an alle kirchlichen Selbsterhaltungsbemühungen und die Zuversicht verbunden, dass ein Leben mit Christus und nach dem dienenden Vorbild Jesu die Lebenskraft der Kirche garantiert. Diese Zuversicht wünsche ich der Kirche für ihre Zukunft.

Seit 30 Jahren lebt das Ehepaar Renate und Prof. Dr. Eberhard (verstorben im Jahr 2000) Bethge in Wachtberg; die Mutter von Renate Bethge war eine Schwester von Dietrich Bonhoeffer.

Zur Person: Dietrich Bonhoeffer wurde vor 100 Jahren, am 4. Februar 1906 in Breslau geboren. Als Theologiedozent an der Berliner Universität und in den USA, als deutscher Auslandspfarrer in London, als Leiter eines Predigerseminars in Pommern wurde er zu einer der prägenden Gestalten im Kampf der Bekennenden Kirche gegen den Totalitätsanspruch des NS-Staates. Aufgrund seiner Verbindungen zum politischen Widerstand wurde er 1943 verhaftet und am 9. April 1945, bis zuletzt theologisch arbeitend, im Konzentrationslager Flossenbürg hingerichtet. Der theologische Freund Eberhard Bethge hat durch die Herausgabe der zum Teil in der Haft entstandenen Schriften (gemeinsam mit Renate Bethge sowie Heinz-Eduard und Ilse Tödt) und seiner Biographie Grundlagen für die heute weltweite Anerkennung Bonhoeffers geschaffen. Sowohl die Biographie wie die Werkausgabe sind in alle Weltsprachen, auch ins Japanische und Koreanische übersetzt. An der Westminster Abtei in London wurde 1998 eine Statue Bonhoeffers in die Reihe christlicher Märtyrer gestellt. Der im Gefängnis zu Weihnachten 1944 entstandene Text „Von guten Mächten still und treu umgeben“ wurde zu einem der bekanntesten Kirchenlieder in der Ökumene des 20. Jahrhunderts.

 
 

 

 

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