Religion ist nichts, was Ärger macht

Der Befund ist eindeutig. Der konfessionelle Religionsunterricht (RU) befindet sich in der „Krise“. Neben Anfragen von Eltern und Stundenplanmachern ist dies vor allem der Tatsache geschuldet, dass immer weniger Kinder einer christlichen Kirche angehören. Ist der konfessionelle RU ein Auslaufmodell? So lautete der streitbare Titel des diesjährigen Tages des Religionsunterrichts im Bonner Haus der Kirche. […]

Der Befund ist eindeutig. Der konfessionelle Religionsunterricht (RU) befindet sich in der „Krise“. Neben Anfragen von Eltern und Stundenplanmachern ist dies vor allem der Tatsache geschuldet, dass immer weniger Kinder einer christlichen Kirche angehören. Ist der konfessionelle RU ein Auslaufmodell? So lautete der streitbare Titel des diesjährigen Tages des Religionsunterrichts im Bonner Haus der Kirche.

Konfessorischer Dialog

Vor allem, was folgt aus dem Krisenbefund? Prof. Dr. Thorsten Knauth von der Universität Duisburg-Essen ging in seinem Vortrag „Dialogisches Lernen als zentrale Figur interreligiöser Kooperation?“ dieser Frage nach. Dabei machte der Religionspädagoge deutlich, dass sich ein solcher Dialog nicht allein auf konfessionelle oder interreligiöse Kooperation beschränken dürfe. „Dialogisches Lernen geht über interreligiöses Lernen hinaus.“ Hinzunehmen müsse man auch die Schülerinnen und Schüler, „die sich keiner Religion verbunden fühlen“. Dabei sei eine Verschiebung von der Vermittlung zur Aneignung erforderlich. In der Praxis erfordere dies eine neue Lernkultur, in der sich Lernende gefahrlos öffnen können und der Unterricht ein „Markplatz für den Austausch von Gedanken“ wäre. Lehrerinnen und Lehrer selbst verließen dann immer wieder die Rolle des reinen Vermittlers, um die eines „Mitlernenden“ einzunehmen. Das Konzept bezeichnete Knauth als „konfessorischen“ Dialog, in dem jeder mitteilen kann, was er glaubt.

Vakante Stelle der Religion bleibt nicht leer

In einem zweiten Vortrag beleuchtete Dr. Reinhard Hempelmann die „Facetten von Religionsdistanz und Reaktionen von Theologie und Kirche“. Als Beispiele für diese Distanz nannte der Leiter der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin verschiedene Thesen wie „Massenmord als Praxis der christlichen Religion“ (Karlheinz Deschner), „Zivilisation ist atheistisch“ (Georges Minois) oder die Ansicht, religiöses Bewusstsein beruhe auf einer „Überaktivität im Schläfenlappen (Michael Schmidt-Salomon). Hempelmann stellte einige klassische Antworten der Theologie vor, wie etwa von Karl Rahner, Hans Küng oder Wolfhart Pannenberg. Zusammenfassend habe jedoch jeder seinen Gott. „Niemand kann darauf verzichten, sein Herz an etwas zu hängen. Die vakante Stelle der Religion bleibt nicht leer.“ Wichtig sei es, die unterschiedlichen Gesichter von Religionsdistanz wahrzunehmen. Dies sei ein großes Thema für alle Felder kirchlichen Handelns, vor allem aber für den Bereich religiöser Bildung.

Nach lebhafter Diskussion ermutigte Schulreferentin Beate Sträter die Lehrerinnen und Lehrer in ihrem Fazit, den Dialog an der Schule zu suchen. Es gehe im Religionsunterricht um grundlegende existentielle Fragen und darum, welche Antworten Religionen darauf finden. „Religion ist nichts, was Ärger macht, sondern uns miteinander ins Gespräch bringt.“

Workshops mit Unterrichtsmodellen

Am Nachmittag ging es für die rund 100 Lehrerinnen und Lehrer in drei Workshops (unterrichts-)praktisch weiter. Dr. Inga Effert (Uni Wuppertal) und Gunther vom Stein (Solingen) erläuterten, wie in der Primarstufe pluralitätsfähig und zugleich in höchstem Maße schülerorientiert unterrichtet werden kann. Referent Thorsten Knauth stellte sein Modell interreligiös-dialogischen Lernens am Beispiel von Unterrichtsmaterialien für die Sekundarstufe I vor. Die Bonner Schulpfarrerin Dr. Wibke Jansen erläuterte ihr konfessionell-kooperatives Projekt zum Thema „Solidarität und Gerechtigkeit“ für die Sekundarstufe II. Das Unterrichtsmodell findet in Zusammenarbeit mit einer katholischen Kollegin sowie mit Oikocredit statt und verbindet die Theorie mit einem Praxisprojekt.

Der Tag des Religionsunterrichts findet unter der Regie der Schulreferentinnen Beate Sträter und Hiltrud Stärk-Lemaire alljährlich am Buß- und Bettag zu einem Schwerpunktthema im Haus der Evangelischen Kirche Bonn statt. Der Termin ist Treffpunkt der evangelischen Religionslehrkräfte an den allgemeinbildenden Schulen in den Kirchenkreisen An Sieg und Rhein, Bad Godesberg-Voreifel und Bonn.