Aufatmen – fürs erste

Christoph Nicolai. Foto: Ebba Hagenberg-Miliu

Christoph Nicolai und seine Mitstreiter können vorsichtig aufatmen. Eine Lösung deutet sich an. Aber noch ist nichts sicher. Sie haben Verpflichtungserklärungen unterschrieben, mit denen Flüchtlinge nach Deutschland kommen konnten und nicht den lebensgefährlichen Weg übers Mittelmeer wählen mussten. Auf einmal sollten sie über Jahre für alle Kosten aufkommen. Das hätte einige von ihnen ruiniert. Christoph […]

Christoph Nicolai und seine Mitstreiter können vorsichtig aufatmen. Eine Lösung deutet sich an. Aber noch ist nichts sicher. Sie haben Verpflichtungserklärungen unterschrieben, mit denen Flüchtlinge nach Deutschland kommen konnten und nicht den lebensgefährlichen Weg übers Mittelmeer wählen mussten.

Auf einmal sollten sie über Jahre für alle Kosten aufkommen. Das hätte einige von ihnen ruiniert. Christoph Nicolai erzählt ruhig, was einige seiner Mitstreiter und vielleicht auch ihn ein paar schlaflose Nächte gekostet hat. „Ja, das ist schon aufregend“, sagt er. Heute berät er Flüchtlinge – in einer Wohnung, die die Stadt Bonn im Godesberger Ortsteil Pennenfeld dafür bereitgestellt hat.

Im Herbst 2014 hat Christoph Nicolai die Flüchtlingshilfe Syrien bei der Evangelischen Johanneskirchengemeinde in seiner Stadt aufgebaut. Sie trifft sich bis heute alle sechs Wochen sonntags nach dem Gottesdienst. Eine Gruppe aramäischer Christen aus Syrien war im Gottesdienst erschienen. Sie erzählten, wie ihre Angehörigen unter dem Krieg in Aleppo und anderen Städten litten. Es war die Zeit, als Schreckensbilder von der süditalienischen Insel Lampedusa und von sinkenden Flüchtlingsbooten durch die Medien gingen.

Ein Beitrag, den Schleppern das Handwerk zu legen

Die aramäischen Christen machten die Gruppe auf eine Möglichkeit aufmerksam, die sie selber nutzten: In Nordrhein-Westfalen konnten sie unter bestimmten Bedingungen Angehörige zu sich holen. Zu den Bedingungen, die im Aufenthaltsgesetz geregelt waren, gehörte die Erklärung, dass sie zunächst für deren Kosten aufkommen würden, also eine Bürgschaft. Für die, die dafür nicht genug Einkommen nachweisen konnten, bürgten Mitglieder des Arbeitskreises. Nicolai: „Das war unser Beitrag, um den Schleppern das Handwerk zu legen – was damals jeder forderte.“

16 Flüchtlinge konnten so nach Bonn kommen. Zu drei weiteren ging der Kontakt während der Bearbeitungszeit verloren. „Sie sind vermutlich im Krieg umgekommen“, sagt Nicolai. Alle waren guten Willens, den Kriegsflüchtlingen zu helfen, der Arbeitskreis, die Kirchengemeinde, das Ausländeramt. Und Menschen, die den Kreis mit Spenden unterstützen. Allerdings: „Im Nachhinein müssen wir sagen: Die Voraussetzungen für die tatsächliche Dauer der Haftung waren ein bisschen unklar“, sagt Nicolai.

Gesagt, getan?

Die Bürgschaft galt „bis zur Erteilung eines Aufenthaltstitels zu einem anderen Aufenthaltszweck“, so der Wortlaut der unterschriebenen Verpflichtungserklärung. Alle gingen davon aus, dass das nicht lang dauern würde. Einige Angehörige von Geflüchteten hatten für sieben Menschen gebürgt – in der Hoffnung, dass die Forderung nicht hoch ausfallen und die Flüchtlinge bald als Asylberechtigte anerkannt würden und der Staat für sie aufkam.

In der Zwischenzeit hätten sie etwa den Hartz-IV-Satz zu tragen, also etwa 350 Euro pro Person und Monat. Danach seien sie aus der Verpflichtung entlassen. So war es ihnen gesagt worden, so beschloss es 2015 noch einmal der NRW-Landtag, und so urteilte auch das Sozialgericht in Dortmund. Und so wurde es dann auch gehandhabt.

Neues Gesetz verändert die Lage

Im August 2016 verabschiedete der Bundestag ein Integrationsgesetz. Es veränderte die Lage, denn es legte die Haftungsdauer neuer Bürgen auf volle fünf Jahre fest. Wer bis 2016 unterschrieben hatte, musste drei Jahre lang für den Unterhalt der Flüchtlinge aufkommen. Die Verpflichtung erlosch also nicht mit dem Asylstatus.

Eine betroffene Familie klagte dagegen – und verlor schließlich beim Bundesverwaltungsgericht. Es widersprach den Regelungen in Nordrhein-Westfalen. Wer eine Erklärung abgegeben habe, sei „im Regelfall zur Erstattung heranzuziehen“, bestimmten die Verwaltungsrichter.

Vergangenes Jahr kamen erste Rückforderungen

Diese Entscheidung war die juristische Grundlage für die Jobcenter, ihre Auslagen für die Flüchtlinge von den Bürgen einzutreiben. Für Nicolai und die Flüchtlingshilfe begannen Gespräche – mit der Stadt, Ministern, Behörden, der Landeskirche und mit Kollegen. „Die Stadt hätte uns gern geholfen, aber hatte keine Möglichkeit.“

2017 dann trafen die ersten Rückforderungen ein. Während andere Bürgen sich mit Ersattungsforderungen des Jobcenters im fünfstelligen Eurobereich konfrontiert sahen, erhielten Mitglieder der Flüchtlingshilfe  Bescheide vom Sozialamt der Stadt, zunächst für den Zeitraum Mai bis Dezember 2017. Widerspruch war nicht möglich.

Schwerer Schritt Klage

Also blieb nur, die Stadt zu verklagen. Das ist Nicolai schwer gefallen: „Ich hätte nie gedacht, dass wir zu diesem Schritt greifen müssen.“ Und der Kreis hat Widerstand gegen sein Engagement gespürt. In einer Anfrage sprach der Bürgerbund Bonn, der im Stadtrat vertreten ist und sich in der letzten Zeit durch konservative Politik profiliert, von „Zahlungsverweigerern“ bei der Flüchtlingshilfe.

Zuletzt haben die Gespräche und vielleicht auch die Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen und im Bund geholfen. Nicolai hat erfahren, dass das Bundesarbeitsministerium die Bundesagentur für Arbeit und damit die Jobcenter inzwischen anwies, im Blick auf Verpflichtungserklärungen keine Forderungen mehr einzutreiben, bis eine rechtliche Regelung gefunden ist. „Noch können wir nicht absehen, wie lange das dauert“, sagt Nicolai. Er fragt jetzt beim Jobcenter an, ob es die Anweisung schon kennt. Allen, die doch noch einen Bescheid bekommen, rät er, ebenfalls zu klagen.

NRW-Landtag lädt zu Anhörung

Und er ist gespannt auf den 11. April. Dann gibt es im Düsseldorfer Landtag eine Anhörung. Die Grünen haben die Landesregierung ebenfalls aufgefordert, weitere Forderungen auszusetzen, bis es eine rechtliche Klärung gibt. Zudem schlagen sie einen Hilfsfonds mit fünf Millionen Euro vor, aus dem die Verpflichtungsgeber, die sich für Flüchtlinge eingesetzt haben, entschädigt werden sollen.

Es gibt also Hoffnung. Aber noch ist nichts entschieden.